25.05.2022 - Neuigkeiten

Dr. Klaus Richarz: Windkraft im Wald – Moratorium statt voreilige Zerstörung

Windkraft im Wald

Ein Zielkonflikt auf Kosten des Artenschutzes, der biologischen Vielfalt und der Resilienz der WälderWälder Wir schützen Wälder! Wälder sind zumeist die naturnahesten Biotope und wertvolle, nicht ersetzbare Lebensräume für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen. Wald ist mehr als nur Holz. auf die Klimaerwärmung

von Dr. Klaus RicharzKlaus Richarz Dr. Klaus Richarz ist Dipl.-Biologe und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der NI an. Er war 33 Jahre hauptberuflich im Naturschutz tätig, davon 22 Jahre als Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland.

 
Einige Bundesländer machen selbst vor ausgewiesenen Natura 2000-Gebieten keinen Halt

Die Windenergie soll und wird einen maßgeblichen Anteil am Energiemix der Zukunft auch in Deutschland haben. Bei ihrem Ausbau darf ein weiteres gesellschaftlich und politisch unumstrittenes Ziel aber nicht gefährdet werden: der Erhalt der biologischen Vielfalt.

Schätzungsweise werden jedes Jahr etwa 225.000 Fledermäuse und mehrere Tausend Greifvögel durch die rund 30.000 Windenergieanlagen in Deutschland getötet. Geeignete Standorte im Offenland werden knapp, und damit steigt in vielen Regionen der Druck, auch Waldflächen und sogar Schutzgebiete für Windenergieanlagen zu nutzen. Bereits heute steht jede zehnte Windenergieanlage im Wald. Statt die letzten Rückzugsorte für unsere heimische Flora und Fauna konsequent zu schützen, räumt die Politik der Windenergieindustrie zunehmend Privilegien ein. Die fachliche Diskussion um die Folgen des Ausbaus der Windenergie auf bedrohte Arten wird zunehmend durch das Argument des Klimaschutzes, neuerdings verbunden mit der künftigen Versorgungssicherheit, überlagert.

Aufgrund erheblicher Defizite beim Schutz von Naturwäldern und gleichzeitig noch lückenhafter Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Windenergieanlagen im Wald auf zahlreiche Vogel- und Fledermaus-Arten bzw. -Artengruppen, ihre Populationen und ganze Lebensgemeinschaften ist weiterhin zu fordern, auf Windenergieanlagen in Wäldern zu verzichten.

Naturnahe und Naturwälder – unverzichtbar für die Artenvielfalt und den Klimaschutz

Gerade den naturnahen und (bisher zu wenigen) ungenutzten Wäldern kommt die größte Bedeutung für die biologische Vielfalt zu. In Naturwäldern dürfen die Bäume ungestört altern und auch abgestorben im Wald verbleiben. Nur so entstehen in vollem Umfang LebensräumeLebensräume Wir schützen Lebensräume! Bedrohte Vielfalt schützen und erhalten! für seltene und auf alte Wälder einschließlich aller Verfallsstadien angewiesene Tier- und PflanzenPflanzen Pflanzen sind ein wichtiger Teil der Biodiversität. Sie ist unsere Lebensgrundlage, aber mehr als nur Artenvielfalt. Ohne Pflanzen wäre ein Leben für uns Menschen auf der Erde nicht möglich.arten. Aber auch gegenüber klimatischen Veränderungen sind naturnahe Wälder und vor allem Naturwälder aufgrund ihrer starken Anpassungsfähigkeit von herausragender Bedeutung. Wesentliche Merkmale dieser Wälder sind die zahlreichen alten und dicken Laubbäume, ein geschlossenes Blätterdach und die großen Mengen von lebendem und abgestorbenem Holz. Da sich ein solcher Wald durch Verdunstung von Wasser sein eigenes Klima schafft und extreme Hitze abgepuffert wird, können Naturwälder Dürre- und Hitzeperioden unbeschadeter überstehen als Nutzwälder

Im Vergleich zu Windparks im Offenland sind bei der Errichtung von Windenergieanlagen in Waldgebieten durch die für Anlage, Kranstellplatz und Zufahrtswege oft erforderlichen Rodungen sowie durch später regelmäßige Wartungsarbeiten weitere Einflussgrößen zu berücksichtigen, die sich auf die Habitatqualität und -nutzung von auf Wälder angewiesenen Vogel- und Fledermausarten sowie weiteren Säugetierarten entscheidend auswirken können. Hier sind weitere Untersuchungen notwendig, die zu belastbaren Aussagen führen, wie sie in den letzten zehn Jahren bereits für die windenergiesensiblen (Vogel-)Arten des Offenlandes erarbeitet wurden.

Die Errichtung von Windenergieanlagen kann Fortpflanzungs- und Ruhestätten beeinträchtigen, ihr Betrieb kann Kollisionen und Barotraumata[1] bei Fledermäusen auslösen, Scheuch- und Störwirkungen entfalten oder auch als Barriere in essenziellen Flugkorridoren wirken. Windenergieanlagen im Wald können damit zu artenschutzrechtlich relevanten Konflikten mit waldbewohnenden Arten führen. Die zunehmend geplante Errichtung von WEA in Waldgebieten stellt damit die Bewertung von Windparks vor neue Herausforderungen.

Aufgrund lückenhafter Erkenntnisse zu Auswirkungen von Windenergieanlagen im Wald auf zahlreiche Vogel- und Fledermausarten sollte auf diese Anlagen in Wäldern verzichtet werden. Foto: Peter Draeger

Wälder dienen nahezu allen Fledermausarten als Nahrungshabitate, die arttypisch in unterschiedlicher Art und Weise genutzt werden. Mehr als die Hälfte unserer Arten sucht zudem Baumhöhlen als Quartiere auf. Deshalb muss bei der Risikoabwägung bezüglich WEA über Wald der Fokus bei dieser Tiergruppe nicht nur auf ein eventuell erhöhtes Kollisionsrisiko, sondern auch sehr stark auf mögliche Beeinträchtigungen oder gar Zerstörungen von Nahrungshabitaten sowie Fortpflanzungs- und Ruhestätten ausgerichtet sein. Für beide Fragestellungen besteht ebenfalls noch ein erhöhter Untersuchungsbedarf.

Leitlinien beim Umgang mit der Problematik Windenergieanlagen und Fledermäuse sollten die von EUROBATS herausgegebenen „Guidelines for consideration of bats in wind farm projects“ sein. Darin wird sehr eindeutig gegen den Bau von WEA im Wald aus Sicht des Fledermausschutzes Stellung bezogen:

„Wind turbines should not be installed within all types of woodland or within 200 m due to the high risk of fatalities and the severe impact on habitat such siting can cause for all bat species. Mature broad-leaved forests are the most important bat habitats in Europe both in terms of species diversity and abundance, but also young forests or monoculture conifer forest can support a considerable bat fauna.“ (Rodrigues et al. 2015).

Zum gleichen Ergebnis kommt der Bundesverband für Fledermauskunde Deutschland e. V. in seinem Erwiderungsschreiben zum 10-Punkte-Papier der Verbände für den Ausbau der Windenergie: „Die Schaffung von Rückzugsräumen sensibler Arten ist im Hinblick auf die durch Kollision gefährdeten Fledermaus-Arten nicht möglich. Fledermäuse sind eine hochmobile Artengruppe. Unter den fernziehenden Arten legen Fledermäuse mitunter Frühjahrs- und Herbstwanderungen von bis zu 2.500 km zurück. Diese Migration erfolgt breitbandig in Nordost-Südwest-Richtung quer über Deutschland.

Für baumhöhlenbewohnende Fledermausarten, die baubedingt von Lebensraum- und Quartierverlusten betroffen sind, sind Rückzugsräume nötig. Jedoch lassen sich diese Arten nicht umsiedeln, somit ist die von uns präferierte Lösung generell der Verzicht auf Windkraft im Wald. Dies würde auch der wichtigen Rolle des Waldes für das Erreichen der Klimaziele 2050 gerecht werden. Dadurch entstehen dann auch weder Konflikte noch Kosten für die Schaffung und Vorhaltung solcher Rückzugsräume. Insbesondere geht aus der Forderung nicht hervor, wer die Kosten für solche Rückzugsräume übernehmen soll. Zudem sind Rückzugsräume sensibler Arten im Bundesnaturschutzgesetz als Fortpflanzungs- und Ruhestätten bereits definiert und werden im Rahmen artenschutzrechtlicher Prüfungen im Einzelfall bekannt. Die Fortpflanzungs- und Ruhestätten unterliegen wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung für den Schutz und Erhalt bedrohter Tierarten bereits jetzt einem besonders hohen Schutzniveau. Generell ist der Vorschlag einer Eingrenzung von sensiblen Arten in Refugien als wissenschaftlich nicht haltbar und in der Praxis als undurchführbar deutlich zurückzuweisen.“ (BVF 20.09.2019).

Den Zielkonflikt zwischen dem Ausbau der Windenergienutzung und dem Schutz der Fledermäuse hat zuletzt C. Voigt in seiner Einleitung zur Publikation „Evidenzbasierter Fledermausschutz in Windkraftvorhaben“ eindrucksvoll unter dem Titel „Ansätze zur Lösung eines Grün-Grün-Dilemmas“ zusammengefasst (Voigt 2020). Danach ist bis heute auch unter Berücksichtigung von Betriebszeitenregelungen zum Schutz der Fledermäuse von einer jährlichen Schlagopferzahl von 225.000 Fledermäusen in Deutschland auszugehen.

Selbst wenn alle in Deutschland aktiven WEA unter den gängigen Auflagen (Abschaltalgorithmen) operieren würden, geht Voigt (2020) davon aus, dass sich die Zahl der getöteten Fledermäuse auf schätzungsweise mindestens 30.000 bis 60.000 pro Jahr belaufen würde, da trotz des hohen Schutzstatus von Fledermäusen in der Regel ein bis zwei Fledermaus-Schlagopfer pro Jahr und WEA in den Genehmigungen als Auflage toleriert werden. Zumal bislang nicht bekannt ist, wie sich derart hohe Schlagopferzahlen auf die Fledermauspopulationen auswirken. Populationsmodelle für betroffene Fledermausarten aus Deutschland und Nordamerika weisen aber darauf hin, dass mittelfristig Bestandseinbußen der betroffenen Arten zu erwarten sind (siehe Voigt 2020 und Voigt et al. 2015).

Moratorium statt voreilige Zerstörung

Als Fazit ist festzuhalten, dass der Artenschutz beim Ausbau der erneuerbaren Energien – trotz erheblicher Bemühungen seitens der Wissenschaft und Expertenkreisen für eine naturverträgliche Energiewende – noch immer unzureichend Berücksichtigung findet. Neben der zunehmenden, politisch angestrebten Verwässerung von anerkannten Fachstandards wie dem Helgoländer Papier der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, das evidenzbasiert die Mindestabstände zu Brutplätzen und Lebensräumen windkraftsensibler Vogelarten definiert,  ist vor allem die weiter voranschreitende Erschließung von Waldstandorten besorgniserregend. Einige Bundesländer machen selbst vor ausgewiesenen Natura 2000- Gebieten keinen Halt.

Mit den aktuellen politischen Entwicklungen, die die Aufweichung des gesetzlichen Schutzes bedrohter Arten weiter nach sich ziehen, werden unter dem Credo des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit dem Wirtschaftszweig der erneuerbaren Energien immer mehr Privilegien eingeräumt, bei denen die Belange des Artenschutzes langfristig vollends auf der Strecke bleiben. Der zunehmende, wirtschaftlich und politisch motivierte Druck, Wälder als Standorte für Windenergieanlagen zu nutzen, ist nicht vereinbar mit der Bedeutung von Wäldern als Lebensraum für windenergiesensible Arten.

Die Kenntnisse zu den Auswirkungen von WEA einschließlich ihrer kumulativen Wirkungen auf die langfristige Populationsentwicklung dieser Arten sind nach wie vor lückenhaft. Die Gefährdung einzelner Arten durch WEA im Wald ist dagegen sehr konkret. Darüber hinaus kann es zu heute noch nicht absehbaren negativen Folgewirkungen auf die Artenvielfalt im hochkomplexen Lebensraum Wald kommen.

Daher ist es erforderlich, den Ausbau der Windenergie im Wald auszusetzen. Ein zukünftiges Vorgehen ist von den noch ausstehenden, belastbaren Ergebnissen zu den betroffenen Arten, ihren Populationen, ihren Lebensraumansprüchen, sowie von nachprüfbar erfolgreichen und langfristig wirkenden Vermeidungsmaßnahmen abhängig zu machen.

Der Schutz von Arten und die Erhaltung der biologischen Vielfalt muss als ebenso dringliche und gleichrangige Aufgaben wie der Klimaschutz angenommen werden. Naturnahe und v.a. Naturwälder leisten zudem per se einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz.  

Foto: Lydia Pflanz

Dr. Klaus Richarz ist Dipl.-Biologe und war 33 Jahre hauptberuflich im Naturschutz tätig, davon 22 Jahre als Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Bis heute ist er als Gutachter sowie ehrenamtlich in Naturschutzverbänden und Naturschutzstiftungen aktiv. Er schreibt Sachbücher zu Natur, Artenschutz und Naturerleben und ist Wissenschaftlicher BeiratWissenschaftlicher Beirat Dieser Beirat setzt sich zusammen aus renommierten Naturwissenschaftlern und ausgewiesenen Experten auf ihren Fachgebieten. der NaturschutzinitiativeÜber die Naturschutzinitiative e.V. (NI) Die Naturschutzinitiative e.V. (NI) ist ein unabhängiger, gemeinnütziger und bundesweit anerkannter Naturschutzverband. e.V. (NI).


[1] Barotraumata („Druckverletzungen“) werden durch Änderungen des Umgebungsdrucks und dessen Auswirkungen auf luft- oder gasgefüllte Hohlräume und deren Hüllen bei Lebewesen einschließlich des Menschen verursacht. Beim Tod von Fledermäusen an Windrädern wird nur ein (kleinerer) Teil der Tiere an den Rotorblättern geschlagen. Der weitaus größere Teil der obduzierten Fledermäuse weist fatale Schäden an den Blutgefäßen im Umfeld der Lunge auf, die zum Tode führten. Die Windräder erzeugen an ihren Rotoren lokal stark schwankende Luftdruckverhältnisse, welche die Fledermäuse nicht durch ihr Echolot erkennen können. Plötzlicher Unterdruck und Verwirbelungen hinter den Rotorblättern sorgen dafür, dass ihre sackartigen Lungen wie ein Ballon plötzlich extrem expandieren, wodurch Lungen und andere innere Organe platzen und angrenzende Adern und Venen reißen können.



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