08.08.2024 - Klartext

Wald und Wasser – Gedanken anlässlich der Hochwasserkatastrophe im Reinhardswald

Bild: Edgar Menke, Gottsbüren

Von Hermann-Josef Rapp

Hessen ist zu 40 % bewaldet. Die Brisanz von Hochwasserkatastrophen entscheidet sich in den Hochwasserursprungsgebieten, die man gemeinhin mit einer Höhenlage von über 300 m über NN definiert. Und hier ist der Waldanteil noch wesentlich höher.

Deshalb bekommt der Wald in Hessen eine besondere Bedeutung in dieser Frage.

In der Waldbewirtschaftung spielt der Faktor Wasser eine elementare Rolle. Sei es als Schnee, Regen, Nässe, Trockenheit, Oberflächenabfluss oder als Wasserregime im Boden, also unterflur.

Bei der eigentlichen Bewirtschaftung bereiten die nässebetonten Böden, also Stagnogley oder Pseudogley, bei der Kulturbegründung traditionell Probleme. Also die anmoorigen „Molkeböden“, wie sie auf der Reinhardswaldhochfläche typisch sind. Früher, besonders im 19. Jahrhundert, hat man versucht, durch Grabensysteme oder Obenaufpflanzung einen Kulturerfolg zu erzwingen. Markantes Beispiel sind die Fichtenklumpse im Reinhardswald, eine bundesweit bekannte Besonderheit. Diese Zeiten sind vorbei. Heute werden diese Flächen weitgehend aus der Produktion genommen.

Wassermangel als Problem gibt es in den hessischen WälderWälder Wir schützen Wälder! Wälder sind zumeist die naturnahesten Biotope und wertvolle, nicht ersetzbare Lebensräume für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen. Wald ist mehr als nur Holz.n mit Ausnahme der extremen Trockenjahre nicht. Lediglich im hessischen Ried spielt der Wassermangel seit mehr als 50 Jahren eine existenzielle Rolle.

Diskussionsstoff liefern die Folgen der Holzernte, also heute der Einsatz der Harvester und Rückemaschinen. Einmal durch die Fahrspuren, aber auch durch den negativen Einfluss auf den Waldboden allgemein. Hier wird seit Jahrzehnten versucht, sowohl von der Arbeitsorganisation wie der Geräteentwicklung her einen Weg für eine nachhaltige, akzeptable Lösung zu finden. Auch bei der Zertifizierung der Wälder ist dieser Faktor ein Hauptproblem. Wenn diese Fahrspuren auch noch hangabwärts führen, steigert das die Hochwasserrisiken ungeheuer.

Und dann gibt es auch die Wasserprobleme beim Wegebau. Das Waldwegenetz wurde besonders im 19. Jahrhundert konzipiert und umgesetzt. Es stellt ein finanziell wertvolles Kapital der Waldbesitzer dar. Die Wasserführung dieser Wege ist wichtig. Dazu gehören bergseitige Gräben, Durchlässe, Querabschläge aus Holz oder Stahl und die Berücksichtigung des Längs- und Quergefälles beim Wegebau. Die fachgerechte ständige Unterhaltung des Wegenetzes ist deshalb eine Kernaufgabe der Forstbetriebe. Die regelmäßige Kontrolle und Unterhaltung der Gräben, Durchlässe und Querabschläge war früher eine Selbstverständlichkeit. Häufig wurden hier Waldarbeiter eingesetzt, die wegen körperlicher Schwächen nicht mehr im Akkord-Holzeinschlag arbeiten durften. Später kamen dann auch Bagger oder Grabenfräsen zum Einsatz. Ob diese Aufgabe heute noch verantwortungsvoll wahrgenommen wird, kann diskutiert werden.

Zu diesen Aufgaben gehört auch die Unterhaltung der aufwendigen Geröllsperren an den Ostabflüssen des Reinhardswaldes zur Weser hin.

Forsthydrologie in der Wissenschaft

Im Jahr 1971 wurde in Hann. Münden die Hessische Forstliche Versuchsanstalt gegründet. Sie bestand aus drei Instituten. Forstpflanzenzüchtung, Waldschutz und Forsthydrologie sowie einer Zentralabteilung, zu der ich ab 1972 gehörte.

Das Institut für Forsthydrologie war das einzige dieser Art in Deutschland. Leiter wurde Prof. Dr. Horst-Michael Brechtel, der mit ungeheurem Einsatz dem Haus schnell eine besondere Note gab. Er ist inzwischen verstorben. Von den damaligen Mitarbeitern lebt noch Dr. Arpad Balazs in HMÜ. Ehemalige sind z. B. Dr. Wolfram Hammes, später Forstamtsleiter in Mörfelden, Dr. Hans Führer, später Forstamtsleiter in Rotenburg, Gerd Scheele, später Forstabteilung unseres Ministeriums in Wiesbaden und Wilhelm Döring, Revierleiter im Odenwald. Immer wieder arbeiteten ausländische Gastwissenschaftler hier, z.B. Lawinenspezialisten aus Österreich.

Das Institut gibt es nicht mehr. Seine Arbeit ist in die neugegründete Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen und Hann. Münden aufgegangen. Das Personal von dort betreut auch das Messwehr am Elsterbach. Tragisch ist, dass gerade dieses Institutsgebäude in Hann. Münden bei dem aktuellen Hochwasser vor wenigen Tagen fundamental getroffen wurde.

Kernpunkte der Arbeit dieses Instituts waren z. B. umfangreiche Untersuchungen zu den massiven Grundwasserentnahmen der Stadt Frankfurt im Vogelsberg und im Hessischen Ried, das Forstlich-ökologische Beweissicherungsverfahren beim Bau der StarStar Der im Brutkleid prächtig schwärzlich glänzende Star erfreut mit seinem wunderbaren Gesangsvortrag wohl jedermann. Flügelschlagend variieren in schnellem Wechsel unterschiedliche Strophen, wobei auch Stimmen anderer Arten eingeflochten werden.tbahn West und einige ähnliche Verfahren an anderen hessischen Standorten. Spektakulär war der Forstliche Schneemessdienst, bei dem über mehr als zehn Jahre überall im Land Förster wöchentlich die Schneehöhen gemessen haben. Hierbei wurden auch Erkenntnisse über die Abflüsse und Hochwasserauswirkungen gewonnen. Ebenso verwertete man die Ergebnisse bei der Planung von Wintersporteinrichtungen. Insgesamt ist dadurch ein Datenpool entstanden, wie es ihn andernorts nicht gibt.

Als Anfang der 80er Jahre die Waldsterbeproblematik auftauchte, schaltete sich das Institut mit umfangreichen Modellrechnungen zu den Folgen der Kronenverlichtung speziell und der allgemeinen Auswirkungen der verschiedenen Waldsterbeszenarien ein. Außerdem wurde ein landesweiter Niederschlagsmessdienst eingerichtet, der bezüglich der Wassermenge, aber auch der Wasserchemie, riesige Datenmengen angesammelt hat. All´ das wurde von HMÜ gesteuert. Ein bekannter Mitstreiter dabei war auch der verstorbene, bekannte Karl Ebel aus Gimte, eine Ikone in Sachen Wasser.

Ein weiterer Schwerpunkt der Forsthydrologie war die Erstellung von Wasserbilanzen. Und hierbei ging es an die Feinheiten der Beziehung von Wald und Wasser. Also die Wirkung der Baumarten, des Bestandsaufbaus, der Jahreszeit, der Niederschlagsmenge und -intensität, der Interzeption im Kronenraum, des Stammabflusses, der Interzeption der Bodenflora des Oberflächenabflusses, der Geländeausformung und der Versickerung. Das waren allesamt hochinteressante Fragestellungen. Allein diese Beispiele reichen aus, um darzustellen, dass das komplizierte Gefüge von Wald und Wasser nicht stammtischtauglich ist.

Zur aktuellen Lage im Reinhardswald

Entscheidende Punkte der entstandenen Situation sind die Niederschlagsmenge und die Niederschlagsdauer. Die Menge war in bestimmten Bereichen des Gebietes so extrem hoch, dass sich alle Hinweise, Vermutungen und Kritiken im Ansatz verbieten. Im Detail geht das schon.

Die Behauptung, die Schadflächen der letzten fünf Jahre seien schuld, ist Unsinn. Dort hat sich inzwischen eine intensive Sekundärflora gebildet, die die Interzeption der früheren Bestockung kompensiert. Und der dort nicht geräumte Waldboden hat geringere Oberflächenabflussraten als ein Teppich aus Buchenblättern oder Fichtennadeln. Und bei Intensivstniederschlägen spielt wie die Verdunstung im Kronenraum auch der Stammabfluss keine Rolle mehr, weil die Borke von Eichen, Lärchen oder anderen dickborkigen Baumarten nicht mehr als gefüllt sein kann. Und der normalerweise wichtige Beitrag der Bodenversickerung ist auch hinfällig. Der Boden ist gesättigt. Da passt Nichts mehr hinein.

Wenn derzeit ein besonderes Risiko besteht, geht das von den geräumten Bauflächen der Windräder aus. Hier gibt es noch keine wirkungsvolle Sekundärflora und keine ungestörten Oberbodenverhältnisse. Hier müssten in solchen Momenten die Warnlampen leuchten. Und wenn die notwendige, schwerstlastfähige Wegelogistik erst einmal installiert ist, müssten die Warnlampen dort ständig leuchten.

Was kann man machen?

Noch mehr Rücksichtnahme auf den Bodenschutz bei der Holzernte. Fachgerechte Pflege der Wegeinfrastruktur. Anlage von Hochwasserückhaltebecken, wie es im Fall der Lempe erfolgreich geschehen ist. Dazu gibt es mehrere gelungene Beispiele rund um den Vogelsberg. Und das müsste auch in der Gemarkung Gottsbüren in Angriff genommen werden.

In den 90er Jahren, als es um den Hochwasserschutz für Hombressen ging, habe ich den damaligen Bürgermeister Sattler auf ein Projekt im Spessart im Stadtwald Bad Orb aufmerksam gemacht. Dort hat man überall im Wald kleine oder mittelgroße Stellen ausgesucht, an denen man durch geringe technische Eingriffe temporäre Zwischenspeicher anlegen könnte, die die Spitze von Hochwasserereignissen brechen sollten. Diese Idee hat sich inzwischen überall in Deutschland durchgesetzt. Er war dann aber nach reiflicher Überlegung der Auffassung, dass die Hombresser einer solchen Lösung nicht vertrauen würden. Sie wollten etwas Handfesteres sehen, einen Staudamm. Mittlerweile muss ich ihm Recht geben. Man hätte durch solche Einzellösungen im Wald die massiven Abflüsse aus dem Ackerland an der Lempe nicht abbremsen können. So wäre in unserem aktuellen Fall eine Katastrophe entstanden.

Eine Veränderung der waldbaulichen und nutzungstechnischen Verhaltensweisen in der Forstwirtschaft wird nur einen marginalen Einfluss haben. Die Baumartenwahl und die Form der Bestockung haben nur einen geringen Einfluss. Der Verzicht auf Kahlschläge ist heute eine Selbstverständlichkeit ebenso wie die Berücksichtigung der Belange des Bodenschutzes. Die großflächige Stilllegung der Waldflächen wie im Großschutzgebiet zwischen Veckerhagen und Mariendorf zwingt dort ohnehin zum Verzicht auf forstwirtschaftliche Eingriffe. Die Ausweisung der zu renaturierenden Moorflächen dämpft das Hochwasserrisiko, spielt aber flächenmäßig keine bedeutsame Rolle.

Der Wald selbst ist die Hilfe

Man stelle sich vor, auf der Hochfläche des Reinhardswaldes wäre Ackerbau mit Mais, Raps, Getreide und sonst was getrieben worden. Selbst die 90 Hektar Fläche des Vorwerks der Domäne Beberbeck gegenüber der Sababurg haben ausgereicht, um das Anwesen der Familie Morell, früher Ledderhose, zu ruinieren.

Mehr Infos:

https://www.hna.de/lokales/hann-muenden/hann-muenden-ort60343/starkregen-flutet-strassen-und-keller-in-der-region-hann-muenden-93223598.html



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