Wald im Klimawandel

Naturnahe Wälder und Naturnahe Forstwirtschaft im Klimawandel

Von Dr. Martin FladeMartin Flade Dr. Martin Flade studierte Landschaftsplanung und Landschaftsökologie an der TU Berlin, Promotion über Brutvogelgemeinschaften. Er gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der NI an. und Dr. habil. Susanne Winter

Ganz gleich, ob vollständig menschengemacht oder zusätzlich auch durch natürliche Schwankungen verursacht – das Klima wandelt sich rasch und deutlich. Vor allem die Arktis erwärmt sich, die polare Eiskappe schwindet. Nach den wahrscheinlichsten Szenarien der Klimaforscher wird auch bei uns das Klima wärmer und im Sommer trockener, Extremereignisse wie Dürren oder StarStar Der im Brutkleid prächtig schwärzlich glänzende Star erfreut mit seinem wunderbaren Gesangsvortrag wohl jedermann. Flügelschlagend variieren in schnellem Wechsel unterschiedliche Strophen, wobei auch Stimmen anderer Arten eingeflochten werden.kniederschläge werden mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zunehmen. Die letzten zwei Jahre sind vielleicht ein Vorgeschmack darauf, was uns gegen Mitte/Ende des 21. Jahrhunderts regelmäßiger erwarten könnte. Wichtig ist es, zu verstehen, dass der Klimawandel nicht in einen beschreibbaren, stabilen neuen Zustand mündet, an den wir uns heute gedanklich oder strategisch anpassen könnten, sondern ein fortwährender Prozess mit nicht linearen Veränderungen ist und bleiben wird.

Über die möglichen Konsequenzen der Entwicklungen für unser Wirtschaften muss in vielen Bereichen diskutiert und gestritten werden – so auch beim Thema Waldnaturschutz und Forstwirtschaft. Es ist faszinierend zu beobachten, wie einflussreiche Lobbygruppen die Klimadiskussion und die Dürresommer nutzen, um die monetären Ziele durchzusetzen, die sie ohnehin schon seit Jahrzehnten verfolgen. Die privaten Waldbesitzer wollen schon lange und bekommen jetzt auch jede Menge Geld vom Staat, ohne wetterbedingte Schäden erlitten haben zu müssen und auch ohne Anforderungen an eine verbesserte Art der Waldbewirtschaftung – so wie es die Flächenprämie in der LandwirtschaftLandwirtschaft Böden als Kohlenstoffspeicher / Ökologischen Landbau weiter ausbauen seit Jahrzehnten vorgemacht hat. Und dies auch, obwohl die gewählte Bewirtschaftung die Austrocknung der Waldböden womöglich noch verstärkt und die Forstbestände so noch weniger resilient werden lässt als bei einer naturnahen Bewirtschaftung.

Zwar haben Naturschützer und Waldökologen seit mindestens einem halben Jahrhundert vor den möglichen Folgen der Nadelholzkulturen außerhalb der natürlichen Wuchsgebiete gewarnt, zügigen Waldumbau gefordert und Kalamitäten und durch Wetterextreme verursachte Absterbeprozesse vorhergesagt; aber jetzt, wo die Probleme, ausgelöst durch die letzten Dürresommer, massiv – aber keineswegs überraschend – auftreten, wird sich politisch auf Transferzahlungen vom Staat an die Waldbesitzer geeinigt. Für die häufig selbstverschuldete Misere durch Versäumnisse im Waldumbau und im Schalenwildmanagement sollen die Waldbewirtschafter nun finanzielle Mittel vom Steuerzahler erhalten.

Besonders intensiv wird die Diskussion in zwei Bereichen geführt:

  • Rolle von Wirtschafts- und Naturwäldern und ihrer Bewirtschaftung für die Kohlenstoffspeicherung von Wäldern,
  • klimaangepasste Baumartenwahl.

Zu beiden Themenkreisen möchten wir hier einen Diskussionsbeitrag leisten.

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10 % der Waldflächen sollten aus der Nutzung genommen und zu Urwäldern von morgen entwickelt werden.
In naturnahen und geschlossenen Wäldern sind Bäume überwiegend robust gegenüber den momentanen Stressfaktoren.

1. Kohlenstoffspeicherung in Wirtschafts- und Naturwäldern

In Zeiten des Klimawandels steht immer wieder die Frage im Raum, ob und welche Wälder die beste CO2-Speicherfunktion haben. Während Naturschützer und viele Waldökologen die Position vertreten, dass alte, naturnahe, vorratsreiche und vor allem ungenutzte Wälder am effektivsten Kohlenstoff speichern, äußern Vertreter der Forstwirtschaft die Ansicht, dass genutzte Wälder eine größere Klimaschutzwirkung entfalten, da sie Kohlenstoff binden und gleichzeitig die Wirtschaft mit dem nachwachsenden, angeblich klimaneutralen Rohstoff Holz versorgen und
dadurch die Verwendung energieintensiverer Materialien ersetzen könnte (Substitutionseffekt).

Wie sieht es nun mit diesen zwei Ansätzen im Vergleich aus?
Laut der Bundeswaldinventur 3 (BWI 2012) haben wir in Deutschland im Durchschnitt über alle Bundesländer und Waldeigentumsformen hinweg 336 cbm Holzvorrat pro Hektar Wald. Wälder mit hoher Umtriebszeit oder Zielstärke der Bäume und sekundäre Urwälder (alte Prozessschutzflächen) zeigen im Durchschnitt darüberliegende Vorräte von bis zu 700-1000 cbm pro Hektar. Wenn in Wirtschaftswäldern die Nutzung eingestellt wird und sie der natürlichen Entwicklung überlassen werden, akkumulieren sie im Durchschnitt zunächst, je nach Ausgangszustand, für mindestens 40 bis zu über 100 Jahre Biomasse, das heißt, sie bauen lebenden Holz- und Totholzvorrat auf. In dem Maße, in dem der Holzvorrat durchschnittlich anwächst (überschlägig gerechnet zwischen mindestens 6 und über 12 cbm pro Hektar und Jahr), wird Kohlenstoff gebunden. Die Freisetzung durch die Zersetzung von Biomasse liegt deutlich darunter. Die Netto-Akkumulation von Kohlenstoff könnten wir in der nur noch kurzen Zeit, in der wir jetzt dringend die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele erreichen müssen, hervorragend gebrauchen: Einige Jahrzehnte lang einen größeren Teil des Waldes wachsen und CO2 binden lassen – das wäre eine einfache und sehr wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahme, die uns über die Zeitspanne hinweghilft, bis wir mit der Entwicklung anderer klimafreundlicher Technologien und Speichermedien weiter sind.

Selbst, wenn in einzelnen WälderWälder Wir schützen Wälder! Wälder sind zumeist die naturnahesten Biotope und wertvolle, nicht ersetzbare Lebensräume für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen. Wald ist mehr als nur Holz.n nach längerer Zeit der Nutzungsruhe kein weiterer Vorratsaufbau stattfindet, können sie zusätzlich kleinere Mengen an Kohlenstoff binden, dann aber vor allem im Boden und nicht mehr netto im oberirdischen Holzvorrat.

Bei der Betrachtung der möglichen Substitutionsleistung von verwendetem Holz in Bezug auf energieintensivere Produkte ist zu bedenken, dass der allergrößte Teil des genutzten Holzes in Deutschland zurzeit in die thermische Verwertung (51 %), Zellstoff- und Papierproduktion (ca. 8 %, Mantau 2012) sowie in weitere kurzlebige Holzprodukte der Holzwerkstoffindustrie (Paletten usw. ca. 10 %, geschätzt) und der Sägeindustrie (11 %, geschätzt) geht. Der hier enthaltene Kohlenstoff wird also in wenigen Monaten oder Jahren wieder freigesetzt. Nur ein überraschend geringer Anteil der Holzernte (geschätzt weniger als 20 %) geht in die Herstellung etwas langlebigerer Holzprodukte (>10 Jahre), die potenziell andere umwelt- und klimaschädlichere Materialien wie z.B. Zement, Stahl und Kunststoffe ersetzen könnten. Die mögliche Klimaschutzleistung reduziert sich zusätzlich um die Kohlenstofffreisetzung bzw. den Energieaufwand der Produktion (z.B. bei der Herstellung von Faserplatten). Zudem wurden typische langlebige Holzprodukte wie z.B. Dachstühle und Möbel auch in den letzten Jahrzehnten sehr häufig aus Holz gebaut. Ein Substitutionseffekt darf deshalb nur so weit in die Klimarechnung einfließen, wie in Zukunft langlebige Holzprodukte zusätzlich andere energieintensive und klimaschädliche Baustoffe wirklich ersetzen. Unter dem Strich gerechnet sind die zusätzlich zur gegenwärtigen Situation zu erzielenden Substitutionseffekte also eher bescheiden. Der von der Forst- und Holzlobby gerne betonte Beitrag der Holznutzung aus unseren Wäldern zum Klimaschutz wird deshalb unseres Erachtens stark überschätzt.

Wichtig ist, dass eine Erhöhung der Holzvorräte im Wald in Deutschland von 345 cbm pro Hektar in 2012 auf 376 cbm pro Hektar in 2052, also in den entscheidenden Jahrzehnten für den Klimaschutz, weiterhin eine hohe Nutzungsmenge ermöglichen würde. Das WEHAM Naturschutzszenarium des von-Thünen-Instituts zeigt, dass die Nutzungsmenge in den nächsten mindestens drei Jahrzehnten leicht über der bisherigen Nutzung liegen kann, obwohl in dieser Berechnung 8 % der Wälder komplett aus der Bewirtschaftung genommen wurden, 40 cbm Totholz pro Hektar entwickelt und nur noch ein Drittel der möglichen Nutzungsmenge aus Natura-2000-Gebieten entnommen wurde (Oemichen et al. 2017). Die hoch erscheinenden Nutzungsmengen nach diesem Szenario beruhen vor allem auf der schnellen Nutzung der nicht standortgerechten Fichtenbestände, was angesichts der Auswirkungen der letzten zwei trockenen Jahren als sehr sinnvoll angesehen werden muss.

Alte, naturnahe, vorratsreiche und vor allem ungenutzte Wälder speichern am effektivsten Kohlenstoff
Wenn Wirtschaftswälder der natürlichen Entwicklung überlassen werden, bauen sie zunächst viele Jahrzehnte lang lebenden Holz- und Totholzvorrat auf

Aus Sicht des Klima- und Biodiversitätsschutzes ist deshalb zu folgern, dass ein zeitweiser Nutzungsverzicht für größere Waldflächen mit dem Ziel, noch vorratsreichere Wälder zu schaffen, eine bedeutend verlässlichere und effektivere Klimaschutzleistung darstellt, als die unveränderte Nutzung des Holzes und der Holzrohstoffe. Bei unveränderter Bewirtschaftung wird vorausgesagt, dass sich der Waldspeicher von einer jährlichen Aufnahme (Speicherung) von 58 Mio. T CO²-Äquivalenten auf nur noch höchstens 12 Mio. T CO²-Äquivalente bis 2035 abbauen würde (Hennenberg et al. 2019) – sofern die aktuellen Waldschäden den Wald nicht jetzt schon zu einer Kohlenstoffquelle haben werden lassen. Ein drastisches Zurückfahren der energetischen Nutzung sowie des Papier- und Zellstoffverbrauchs muss für die Einhaltung der Klimaziele Deutschlands ohnehin zusätzlich angestrebt werden.

Dies würde den Interessen des „Clusters Forst und Holz“ nur auf den ersten Blick widersprechen. Das Cluster versucht, die Holznutzung im Bereich langlebiger Holzprodukte in Deutschland zu erhöhen. Solange diese Förderung verlässlich in eine langfristige stoffliche Kaskadennutzung mündet, wie zum Beispiel durch das Bauen mit Laubholz, ist dies zu begrüßen. Eine Erhöhung des Verbrauchs im Bereich energetischer Nutzung und kurzlebiger stofflicher Produkte wäre hingegen kontraproduktiv und klimaschädlich. Warum? Das Verbrennen bzw. die Zersetzung von kurzlebigen Holzprodukten setzt einerseits den darin gebundenen Kohlenstoff schneller wieder frei als der Kohlenstoffspeicher Wald, und andererseits ist die Energiedichte (Heizwert) von Holz niedriger als von anderen Stoffen, so dass die Nutzung von Holz nicht als klimaneutral, sondern als klimabelastend eingestuft werden muss. Das Denkhaus Bremen und ARA haben dies beispielhaft folgendermaßen beschrieben: „Beim Verbrennen von 10 cbm Holz entstehen etwa 10 t CO². Die Energiemenge der 10 cbm Holz entspricht der von 3.000 cbm Gas. Wenn man ein Haus damit beheizt, würden nur 6 t CO² freigesetzt. Aber der Wald wächst weiter und bindet nicht nur diese Menge an CO², sondern zusätzlich noch weitere 4 t“ (www.plattform-wald-klima.de).

Abb. 1 und 2: Angenommene Änderung der Grundwasserbestände im Waldgebiet der Schorfheide im Zeitraum 2005-2035 mit und ohne Waldumbau (aus: Goral & Müller 2010)
Abb. 3: Grundwasserspeisung (Tiefensickerung) im Forstrevier Kahlenberg, Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, unter verschiedenen Bestockungsszenarien (Müller 2014)

In der forstlichen Fachliteratur und nachfolgenden populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Zeitungsartikeln wurde dagegen in den letzten Jahren immer wieder die Nachricht verbreitet, dass bewirtschaftete Wälder zusammen mit dem angenommenen Substitutionseffekt durch Holznutzung mehr Kohlenstoff speichern würden als unbewirtschaftete Wälder und Urwälder. Daraus wurde die Notwendigkeit der „nachhaltigen Nutzung“ unserer Wälder sowie die Ablehnung der Ausweisung weiterer Totalreservate/Wildnisgebiete begründet. Jüngstes Beispiel ist die Publikation eines deutschen Autoren-Teams um E.-D. Schulze (2020) im Fachjournal Global Change Biology & Bioenergy mit dem Titel „The climate change mitigation effect of bioenergy from sustainably managed forests in Central Europe“, die dann allerdings heftigen Widerspruch von Forstwissenschaftlern und Waldökologen aus den USA, Australien, Großbritannien, Slowakei, Belgien und Deutschland u.a. nach sich zog (Booth et al. 2020; Kun et al. 2020; Welle et al. 2020). Trotzdem veröffentlichte der Bund Deutscher Forstleute in BDF Aktuell vom April 2020 (S. 16) eine auf Schulze et al. bezogene, mit „Max-Planck-Institut für Biogeochemie“ als Quellenangabe gekennzeichnete Mitteilung, in der es u.a. heißt: „Nachhaltige Waldbewirtschaftung leistet einen größeren Beitrag zum Klimaschutz als Waldwildnis“ und „die vollständige Herausnahme von Wäldern aus der Bewirtschaftung schmälert daher deutlich deren Beitrag zum Klimaschutz“.

In ihrer Gegendarstellung weisen Booth et al. (2020) und Kun et al. (2020) nach, dass die Schlussfolgerungen von Schulze et al. „auf ungeeigneten Annahmen und Berechnungen beruhen“. Weller et al. (2020) zeigen in ihrem Beitrag, dass die Behauptung, die Bewirtschaftung von Wäldern sei besser für den Klimaschutz als ihr Schutz, außerdem auf falschen Daten und Rechenfehlern basiert. „Nach Korrektur falscher Zuwachsdaten für ungenutzte Wälder aus der Originalstudie ergibt sich, dass die Klimaschutzwirkung von ungenutzten und geschützten Wäldern sogar bis zu zweieinhalb Mal so groß sein könnte als diejenige von forstwirtschaftlich genutzten“. Zusätzlich sinkt jede Form von Substitutionsleistung mit der fortschreitenden Dekarbonisierung Deutschlands im Zuge der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens.

Pikant an der Arbeit von Schulze et al. Ist das Autorenteam. Ernst-Detlef Schulze, emeritierter Professor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie der Universität Jena, hat für seine Grundlagenforschung über den Gesundheitszustand des Waldes im Jahr 2006 den renommierten Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erhalten. Selbst Eigentümer größerer Waldflächen, betont er immer wieder die Notwendigkeit, unsere Wälder zu nutzen und argumentiert gegen – aus seiner Sicht – überzogenen Waldnaturschutz und vor allem gegen die Nutzungsaufgabe von Wäldern. Dabei nutzt er seine Reputation als Umweltpreisträger und früherer Leiter des Max-Planck-Instituts in Jena. Mitautor Prof. Hermann Spellmann war bis März 2020 Leiter der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen und auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Auch dieser Beirat vertrat jüngst in seinem Gutachten zur „Waldstrategie 2050“ die Position, dass die forstwirtschaftliche Nutzung von Wäldern im Sinne des Klimaschutzes
günstiger sei als der Erhalt hoher Vorräte im Wald.

Die großflächigen Kiefernforste in der Schorfheide und ihre weitere Entwicklung bestimmen maßgeblich den Wasserhaushalt der Landschaft Bild: Dr. Jochen Tamm
Gerade in Zeiten der Klimaerwärmung muss die Wasserspeicherfunktion von Wäldern aktiviert und optimiert werden

2. Klimaangepasste Baumartenwahl

Ein anderes forstliches Themenfeld im Klimawandel ist die Frage nach der klimaangepassten Baumartenwahl und die Forderung nach „klimaplastischen Wäldern“.
Dabei wurde häufig die folgende Frage in den Vordergrund gestellt:

  • Welche Baumarten können auf den zukünftig trocken-wärmeren Standorten wachsen und haben dann (unter angenommenen relativ stabilen Klimabedingungen) den besten Zuwachs und damit den höchsten Holzertrag?

Statt dieser standort- und ertragsorientierten Fragestellung sollte jedoch unseres Erachtens folgende landschaftsökologische Frage im Vordergrund stehen:

  • Welche Baumarten, Bestockungs-/Bestandestypen und Bewirtschaftungsweisen wirken sich am günstigsten auf den Landschaftswasserhaushalt und das Lokalklima aus?

Es gibt zu dieser landschaftsökologischen Frage nicht allzu viele Studien aus dem mitteleuropäischen Raum. Es ist aber das Verdienst von Jürgen Müller, der bis zu seinem Ruhestand Wissenschaftler am von-Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde war und viele Jahre lang die Wechselwirkungen zwischen Wald und Wasser untersuchte, dass es eine solide Datengrundlage u.a.  für große Teile des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin und Waldgebiete in Thüringen gibt. Eine wesentliche Grundlage waren die Untersuchungen zum Baumarteneinfluss mit Lysimetern. Diese Datengrundlage erlaubt eine Modellierung des Landschaftswasserhaushalts und der Grundwasserstände unter verschiedenen Waldbestockungsszenarien (Goral & Müller 2010; Müller 2019).

Dazu zunächst einige Grundlagen: Wenn Niederschlag auf einen Wald fällt, verdunstet ein Teil (je nach Jahreszeit, Belaubung usw.) an der Vegetationsoberfläche von Baum- und Strauchschicht. Nur ein Teil, der sogenannte Bestandesniederschlag, erreicht die Kraut- und Bodenschicht als Unterkronenniederschlag oder Stammabfluss. Der Bestandesniederschlag ist sehr unterschiedlich unter verschiedenen Baumarten und auch abhängig von Alter und Kronenschlussgrad der Bäume sowie Deckungsgrad der Strauchschicht. Das Wasser, was den Waldboden erreicht, unterteilt sich in das Wasser, das von der Krautschicht aufgenommen und verdunstet wird, die in den oberen Bodenschichten gespeicherte, pflanzenverfügbare Wassermenge (die von der Vegetation aufgenommen und transpiriert werden kann) und die Tiefensickerung, die das Grundwasser speist (Sickerwasserspende).

Abbildung 4 (li.) und Abb. 5 (re.)

Spannend ist nun der Vergleich dieser Werte zwischen verschiedenen Baumarten und Bestockungstypen. Der Unterschied kann gewaltig sein, z.B. beim Stammabfluss (aus Müller 2014):

  • Buche (Baumholz, 140-145 Jahre): 15,7 % vom Freilandniederschlag
  • Kiefer (Baumholz, 70-83 Jahre): 1,3 % vom Freilandniederschlag

Der Abfluss ins Grundwasser (Sickerwasserspende) ist unter Buche generell viel größer als unter Kiefer und Fichte. In einem von Müller (2014) gemessenen Beispiel (Baumholz, Thüringen, bei 920 mm Jahresniederschlag): Fichte 305 mm/Jahr, Buche 430 mm/Jahr (+125 mm).

Beispiel aus dem Revier Kahlenberg, Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin bei 620 mm Jahresniederschlag: Buche, Baumholz, 135 Jahre, gegen Kiefer, Baumholz,
84 Jahre: Buche +51 mm/Jahr.

Untersuchungen aus Bayern zeigen weiterhin unter anderem, dass die Sickerwasserspende unter Douglasie nochmals deutlich geringer ist als unter Fichte und Kiefer. Der Zuwachs-Einbruch im Trockenjahr 2003 war zudem unter Buche am geringsten und unter Fichte am stärksten (Prietzel & Bachmann 2011).

Wenn es nun um die Beurteilung von Baumartenwahl und Art der forstlichen Nutzung in Bezug auf die erwartete Klimaentwicklung geht, sind solche Werte von elementarer Bedeutung.  Die Modellierungen im kiefernforstdominierten Waldgebiet der Schorfheide zeigen, dass ohne Waldumbau die Grundwasserstände im Zeitraum von 2005 bis 2035 unter gegenwärtigen Klimabedingungen (ohne zusätzlichen Klimawandel) auf der überwiegenden Fläche um mehrere Dezimeter, lokal sogar über 100 cm absinken würden; bei zügigem Umbau zu laubholzdominierten Beständen (vor allem Buche, Eiche, Kiefer- Eiche) würden die Grundwasserstände dagegen fast auf der gesamten Fläche um 20 bis 80 cm ansteigen (Goral & Müller 2010, Abb. 1 und 2)! In einem anderen Beispiel wurden im Revier Kahlenberg im südöstlichen Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin drei Szenarien untersucht:

  1. derzeitige Bestandestypenverteilung (überwiegend Kiefer, z.T. Buche, z.T. Mischbestände)
  2. potenziell-natürliche Vegetation (Buchenwälder)
  3. nur Kiefernforste (Ersatzgesellschaften)

Die Berechnungen zeigen, dass die Grundwasserspeisung (Tiefensickerung) unter Buchenwäldern (2.) drei- bis fünfmal so groß wäre wie unter Kieferforsten (3.; Müller 2014, Abb. 3, Seite 25).

Andere Untersuchungen aus demselben Landschaftsraum (südliches Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und Barnim) beschäftigten sich mit den von Satelliten gemessenen Oberflächen-Temperaturen während der heißen Sommermonate Juni-August der Jahre 2002 bis 2017 (Ibisch et al. 2019, Abb. 4 und 5, Seite 26-27). Die Messungen zeigen eindrucksvoll die kühlende Wirkung von Wäldern und Großseen, ganz besonders aber auch die Wirkung alter Buchenwälder im Vergleich zu Kiefernforsten. Es konnte gezeigt werden, dass totholz- und vorratsreiche Laubwälder (645 cbm/ha) im Sommer bis zu 12 °C niedrigere Oberflächentemperaturen aufweisen als vorratsarme Kiefern- und Mischbestände (356-431 cbm/ha) (Abb. 6, unten).

3. Schlussfolgerungen

Es lassen sich aus diesen Studien folgende Forderungen an eine nachhaltige Forstwirtschaft im Zeichen des Klimawandels aus landschaftsökologischer Sicht ableiten:

  1. Aufbau vorrats- und totholzreicher alter (Laub)Wälder, vor allem Buchenwälder (Funktionen Grundwasserspeisung, Kühlung und Kohlenstoffspeicherung)
  2. Verzicht auf flächigen Nadelholzanbau außerhalb der natürlichen Nadelwaldverbreitung, insbesondere in Regionen <700 mm Jahresniederschlag;
  3. Zügiger Waldumbau von Nadelholzforsten in Laubwälder, besonders in niederschlagsarmen, sommerwarmen Regionen;
  4. Möglichst wenig forstliche Eingriffe in (potenziell) dürregeschädigte Buchenwälder, Erhaltung einer möglichst geschlossenen Bestandesstruktur, Belassen von starkem Totholz.

 
 Zitierte Literatur

  • Booth, M. S., B. Mackey & V. Young 2020: It’s time to stop pretending burning forest biomass is carbon neutral. 2020: Global Change Biology & Bioenergy 12, DOI: 10.1111/gcbb.12716;
  • Flade, M. 2020: Fördert forstliche Bewirtschaftung die Biodiversität von Buchenwäldern? Naturschutz Magazin 1/2020: 6-11.
  • Goral, F. & J. Müller 2010: Auswirkungen des Waldumbaus im Waldgebiet der Schorfheide auf die Entwicklung der Grundwasserhöhen und den Zustand der Waldmoore. – Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 19 (3-4): 158-166.
  • Hennenberg, K., Böttcher, H., Wiegmann, K., Reise, J., Fehrenbach, H. 2019: Kohlenstoffspeicherung in Wald und Holzprodukten. AFZ 17: 36-39.
  • Ibisch, P. I., J. Kloiber & M. T. Hoffmann (Hrsg.) 2019: Barnim-Atlas Lebensraum im Wandel. Eine Ökosystemare Betrachtung des Barnims zum Wohle des Menschen. Landkreis Barnim, Eberswalde.
  • Ibisch, P. L., T. Welle, J. S. Blumenröder, J. Sommer & K. Sturm 2020: Wie das Klimaschutznarrativ die Wälder bedroht. In: Der Holzweg. Wald im Widerstreit der Interessen, S. 175-200. Oekom Verlag, München.
  • Kun, Z., D. DellaSala, H. Keath, C. Kormos, B. Mercer, W. R. Moomaw & M. Wiezik 2020: Recognizing the importance of unmanaged forests to mitigate climate change.  Global Change Biology & Bioenergy 12, DOI: 10.1111/gcbb.12714.
  • Mantau, U. 2012: Holzrohstoffbilanz 2012, Beobachtungsjahr 2010, AGR 2012.
  • Müller, J. 2014: Kann man durch Baumartenwahl und Forstmanagement den Wasserhaushalt der Moore beeinflussen? Vortrag 25. Juni in Oberhof, Quelle: http://www.thueringen.de/mam/th8/tlug/content/abt_1/v_material/2014/14/juergen_mueller.pdf ; letzter Aufruf am 14.08.2020
  • Müller, J. 2019: Die forsthydrologische Forschung im Nordostdeutschen Tiefland: Veranlassung, Methoden, Ergebnisse und Perspektiven. Habilitationsschrift, Schriftenreihe Umweltingenieurwesen, Band 91, Universität Rostock.
  • Prietzel, J. & S. Bachmann 2011: Verändern Douglasien Wasser und Boden? Bayernweite Studie zu ökologischen Aspekten bestätigt Erwartetes und enthüllt Unerwartetes. LWF aktuell 84: 50-52.
  • Oemichen, K., Röhling, S., Dunger, K., Gerber, K., Klatt, S. 2017: Ergebnisse und Bewertung der alternativen WEHAM-Szenarien. AFZ 13: 14-17.
  • Schulze, E. D., C. A. Sierra, B. Egenolf, R. Woerdehoff, R. Irslinger, C. Baldamus, … & H. Spellmann 2020: The climate change mitigation effect of bioenergy from sustainably managed forests in Central Europe. GCB Bioenergy, 12, 186–197. https://doi.org/10.1111/gcbb.12672.
  • Welle, T., P. I. Ibisch, J. S. Blumenroeder, Y. E.-M. B. Bohr, L. Leinen, T. Wohlleben & K. Sturm 2020: Incorrect data sustain the claim of forest-based bioenergy being more effective in climate change mitigation than forest conservation.  Global Change Biology & Bioenergy 12, DOI: 10.1111/gcbb.12738).

Dr. habil. Susanne Winter studierte Forstwissenschaft in München und Göttingen und promovierte an der TU Dresden über „Strukturindikatoren zur Abschätzung des Einflusses forstlicher Bewirtschaftung auf die Biozönosen von Tiefland-Buchenwäldern“ (ausgezeichnet mit dem Göttinger Preis Waldökosystemforschung 2006 und dem Lennart-Bernadotte-Preis für Landespflege 2006); Habilitation an der TU München über Naturnähe-Messung von Wäldern. Nach 12 Jahren Forschung und Lehre u.a. an der TU München (2005-2011) und an der TU Dresden (2012-2014) ist sie seit 2016 „Programmleiterin Wald“ beim WWF Deutschland.


Dr. Martin Flade studierte Landschaftsplanung und Landschaftsökologie an der TU Berlin, Promotion über Brutvogelgemeinschaften. Von Mai 2013 bis Januar 2016 sowie seit Oktober 2018 ist Martin Flade Leiter des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin. Im Zeitraum 1999-2003 und 2012-2015 leitete er zwei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Integration von Naturschutzzielen in die Bewirtschaftung von Tiefland- Buchenwäldern. Er ist Buchenwaldexperte und Wissenschaftlicher BeiratWissenschaftlicher Beirat Dieser Beirat setzt sich zusammen aus renommierten Naturwissenschaftlern und ausgewiesenen Experten auf ihren Fachgebieten. der NaturschutzinitiativeÜber die Naturschutzinitiative e.V. (NI) Die Naturschutzinitiative e.V. (NI) ist ein unabhängiger, gemeinnütziger und bundesweit anerkannter Naturschutzverband. e.V. (NI).

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