03.07.2024 - Klartext

Wie Fledermausexperten den Mythos vom „naturverträglichen“ Ausbau der Windkraft zementieren

Zwergfledermaus

Der „fledermausverträglichere“ Ausbau der Windkraft

oder:

Wie Fledermausexperten den Mythos vom „naturverträglichen“ Ausbau der Windkraft zementieren

Ein Zwischenruf von Dr. Wolfgang EppleWolfgang Epple Dr. rer. nat. Wolfgang Epple ist Biologe und Autor zahlreicher Bücher, u.a. auch von „Windkraftindustrie und Naturschutz sind nicht vereinbar“ (2021) und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der NI an.

In meiner Metastudie für die Naturschutzinitiative e.V. aus 2021 (1) wurde dem Konflikt Windkraft gegen Schutz der Fledermäuse ein ausführliches und bewusst literaturkritisches Kapitel gewidmet (Kap. 5.9, S. 376 ff.; (1). Am Ende des Kapitels fasse ich nach Sichtung einiger der bis 2021 relevanten Publikationen, die immer wieder von einem leicht lösbaren Problem sprachen, zusammen (s. 391):

„(…) Das großangelegte „Freilandexperiment“ der zusätzlichen Tötung jährlich hunderttausender, europaweit vermutlich von Millionen Fledermäusen an Windkraftanlagen jedoch geht trotz des angebotenen, angeblich „leicht zu verwirklichenden“ Artenschutzes weiter. Es handelt sich letztlich vor dem Hintergrund des eingeräumten unzureichenden Kenntnisstandes um eine absichtsvoll in Kauf genommene Gefährdung der betroffenen Fledermäuse ganz Europas, insbesondere der ziehenden Arten, die mit einer rechtstreuen Anwendung höherrangigen Naturschutzrechtes der europäischen Gemeinschaften nicht vereinbar scheint (vgl. EuGH 2006, (2); Günther 2006, (3)). Die Auftragsbücher der „Begleitforschung“ und des „Monitoring“ dürften in Zukunft gefüllt, viele lukrative Forschungen sicher sein. Die angestammten Fledermauslebensräume dagegen dürften vielerorts entwertet oder gar zerstört sein.“

Publikationsflut zum Fledermausschutz im Rahmen des Ausbaus der Windkraft Defizite der Umsetzung der FFH-Richtlinie verschärfen sich

Eine Flut weiterer Publikationen zu Fledermäusen und Windkraft und wortreicher Absichtserklärungen ist seit 2021 erschienen. Aber schon vor vier Jahren war klar: Mangelnde Umsetzung der FFH-RL ist seit Jahrzehnten das entscheidende Defizit des deutschen und europäischen Naturschutzes. Knallharte aktuelle Realität: Der aus den Richtlinien eigentlich abzuleitende vorsorgliche und umfassende Artenschutz kommt entgegen wortreicher Empfehlungen und redundanter „Lösungsvorschläge“ durch brachiale Beschleunigung unter die Räder. Die FFH-RL ist faktisch in Bezug auf Windkraft außer Kraft gesetzt.

„Evidenzbasierter Artenschutz“ und neue (wirklich?) „Vorschläge für einen fledermausverträglicheren Ausbau“ der Windkraftindustrie sollen es 2024 richten. Es sind dies Schlüsselworte einer jüngst erschienenen Übersichtsstudie (4). Die Studie arbeitet minutiös alarmierende Entwicklungen im Rahmen der inzwischen einseitig zu Gunsten der Windkraftindustrie veränderten Rechtslage auf. Trotz alarmierenden Fakten werden altbekannten Beschwichtigungsformeln aus der die Windkraft seit Jahren begleitenden Fledermausforschung aufgewärmt. In der Tagespresse wird daher auch diese Studie für die Windkraftindustrie zum schon gewohnten Quasi-Freispruch (5):

„(…) Es gibt also durchaus Möglichkeiten, den Schutz von Fledermäusen und den Ausbau von Windkraft unter einen Hut zu bringen. Nicht nur zum Wohl des Artenschutzes (…)“

Wer den FAZ-Artikel von Roland Knauer liest, und vergleichend in die zugrundeliegende Originalstudie hineinblättert, muss sich (nicht) wundern. EU-Notfall-VO, umfassende Beschleunigungen des Ausbaus der Windkraft auf nationaler Ebene, die Umsetzung der RED-III-Richtlinie der EU, alles aufgesetzt auf die verheerende Wirkung der EE-Gesetzespakete der Ampel-Regierung aus 2022/2023, die den Durchmarsch der Windkraftindustrie in wertvollste Habitate ermöglichen, führen derzeit zur umfassenden, vor wenigen Jahren kaum für möglich gehaltenen Invasion der Weltrettungsindustrie in wertvollste Natur, speziell in die Wälder. Die in Tabellen 1 und  3 der Originalpublikation (4) aufgelisteten „Empfohlenen Abschaltbedingungen für pauschale Abschaltzeiten“  und „Generellen Lösungsvorschläge zur Bewältigung des Konfliktes Fledermausschutz und -Ausbau der WEA aufgrund aktueller geänderter Gesetze“ spiegeln die bereits in der Metastudie 2021 (1) kritisierte Wirklichkeitsfremdheit der Forschenden. Nimmt man denn tatsächlich den zwei Jahre nach den Ampel-paketen und weiteren Beschleunigungsakten in Gang befindlichen, politisch gewollten und auf rechtlich fragwürdiger Basis stattfindenden massiven Angriff auf genau jene Naturbereiche, die (nicht nur) für Fledermäuse wichtig sind, in seiner ausufernden räumlichen Dimension und Geschwindigkeit nicht wahr?

Froschperspektive auf Fledermäuse verstellt den Blick auf das Ganze

Wer im Jahr 2024 im Abstract schreibt

„Wälder sollten möglichst WEA-frei bleiben und Landschaftsschutzgebiete ausgeschlossen werden“

darf sich fragen lassen, wie sich das mit der Realität verträgt. Selbst zu den eigenen dezidierten weiteren „Lösungsvorschlägen“ entsteht eine gewisse Diskrepanz: Für die Regionalplanung schlagen die Autoren um Xenia Mathgen (4) lächerliche „500 m Abstand der WEA zu Naturschutz- und FFH-Gebieten sowie bekannten Fledermausquartieren“ vor. Der so selbstgewählte 500-Meter-Laufstall des Artenschutzes – eine Absage an notwendiges großräumiges Denken – verkennt, wie in der Praxis bisher weitgehend intakte Wälder förmlich durch Windkraftindustrie aufgerissen und durchlöchert werden. Mit folgendem Vorschlag wird ein weiteres Desaster eher noch dekoriert, die Fledermausexperten fordern: „Bestandswindparks erweitern bzw. repowern“.

Was verspricht man sich von Erweitern (!) und Repowering? Verzichtet deshalb die Windraftindustrie irgendwo auf weitere neue, in Wälder, Naturparke und Landschaftsschutzgebiete  gezielt geplante Vorrangflächen? Glaubt man dies wirklich? Wo finden die Autoren hierfür Anhaltspunkte?

Die Abbildung am Ende des Textes zeigt einen Ausschnitt aus der Realität derzeitiger Planungen in wertvollsten waldgeprägten Kulturlandschaften.

Praktisch alle Wälder und alle heute noch wenig belasteten, wertvollen Kulturlandschaften, in die die Windkraft in den kommenden Monaten und Jahren im Zuge allumfassender Beschleunigung vordringt und vordringen wird, sind Lebensraum und „Habitate“ auch für die Erholungs- und Gesundheitsvorsorge des Menschen, möchte man den Fledermausspezialisten zurufen. Die von ihnen geforderte „Rückkehr zum gleichberechtigten Dialog zwischen Klima- und Artenschutz“ (in Tab.3 in (4)) zeigt eine an Naivität grenzende Wahrnehmung der Qualität des finalen Konfliktes. Seit Jahren sind Ausgrenzung, einseitige mediale, politische, und nun durch die geänderte Gesetzeslage auch einseitige rechtliche Aufarbeitung die Kennzeichen eines defizitären öffentlichen Diskurses rund um angeblichen „Klimaschutz“ durch die Windkraft. Wo es bisher keinen auch nur im Ansatz gleichberechtigten Dialog gab, kann zu einem solchen nicht zurückgekehrt werden.

Veränderte Einsichten – gleichbleibende Beschwichtigungsformeln

Im abschließenden Kapitel „Fazit und Lösungsansätze“ schreibt das Autorenkollektiv in (4) : „Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde herausgearbeitet, dass die aktuellen gesetzlichen Änderungen sowohl die WEA- schlaggefährdeten Fledermausarten als auch die sensiblen Waldarten erheblich benachteiligen. In beiden Gruppen betrifft dies Arten, die streng geschützt und bereits akut bedroht sind. Es gibt jedoch Stellschrauben und Maßnahmen, die einen evidenzbasierten Fledermausschutz an WEA gewährleisten können (siehe auch Voigt 2020).“ Die in diesem Fazit zitierte vielbeachtete Übersichtsstudie Voigt 2020 (6) erschien als frei zugängliche Springer-Publikation und enthält in großen Teilen, was in (4) erneut als Lösungsvorschläge und Beschwichtigungsformeln gegenüber dem „Klimaschutz“ kursiert. Wie „veränderlich“ allerdings Einsichten und Formulierungen sind, zeigt ein Aufruf einer besonders sensiblen Textstelle der Studie nach vier Jahren: Noch 2020 hieß es in (6); damals S.45; Internetaufruf am 09.09.2020; zitiert in (1), S. 381):

„In Bezug auf das Kollisionsrisiko gibt es aus derzeitiger Sicht auch in Wäldern keine Standorte, die grundsätzlich komplett von WEA frei bleiben müssen, da Abschaltungen immer eine geeignete Maßnahme zur Vermeidung eines signifikant erhöhten Kollisionsrisikos darstellen.“

Ruft man die Textstelle 2024 auf, ist diese Formulierung verschwunden. Die Geister, die man mit einer fahrlässigen Wortwahl im Jahr 2020 rief, verschwinden allerdings nicht so leicht…

Quellen nach der Reihenfolge im Text

(1) Epple, W. (2021). Windkraftindustrie und Naturschutz. Windkraft-Naturschutz-Ethik. Eine Studie für die Naturschutzinitiative e.V. (NI), 544 Seiten. Verlag BoD – Books on Demand, Norderstedt. Seite 376 ff.

(2) EUGH (2006): Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 10. Januar 2006. Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Wild lebende Tiere und Pflanzen – Prüfung der Verträglichkeit bestimmter Projekte mit dem Schutzgebiet – Artenschutz. Rechtssache C-98/03. http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C,T,F&num=c-98/03&td=ALL

(3) Guenther, W. (2006): Die Auswirkungen des EuGH-Urteils C-98/03 zur mangelhaften Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. EurUP 2/2006. https://eurup.lexxion.eu/article/EURUP/2006/2/84

(4) Mathgen, X. et al. (2024): Zeitenwende im Artenschutz – Aktuelle Gesetzesänderung versus wissenschaftliche Evidenzen beim Fledermausschutz und dem Ausbau der Windenergienutzung. Nyctalus (N.F.), 20 (2024), Heft 3-4, S. 182-202

(5) Knauer, R. (2024): Folgen der Windkraft Hunderttausende Fledermäuse sterben in Rotorblättern. FAZ.net. https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/fledermaeuse-sterben-in-rotorblaettern-folgen-der-windkraft-19755870.html

(6) Voigt, C.C. (Hrsg.) (2020): Evidenzbasierter Fledermausschutz in Windkraftvorhaben. Springer Spektrum. 178 Seiten. https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-662-61454-9.pdf (erster Aufruf 09.09.2020; aktueller Aufruf 27.06.2024)

Abbildung: „Vorläufige“ Planung von 11 WEA auf dem „Ranzingerberg“ bei Lalling/Landkreis Deggendorf, im Vorderen Bayerischen Wald.

Es handelt sich um Flächen im ausgewiesenen „Naturpark Bayerischer Wald“; (Grenzen des Naturparks: https://gm.naturpark-bayer-wald.de/Kartenanzeige.php?KMLArea=1).

Quelle: Projektvorstellung „Windkraftprojekt Lalling“ durch die „BuB LandEnergie“; Gemeinde Lalling.

Das gezielte Eindringen der Windkraftindustrie in bisher geschlossene, landschaftsprägende und ökologisch weitgehend intakte Wälder kann nach der derzeitigen Rechtslage außerhalb der strengsten Schutzgebietskategorien NSG und Nationalpark so gut wie nirgends mehr verhindert werden. Die konjunktivische Formulierung „Wälder sollten möglichst WEA frei bleiben“ der Fledermausexperten in (4) geht an der längst eingetretenen Realität x-fach wiederholter und vergleichbarer Eingriff-Konstellationen durch die Windkraftindustrie in ganz Deutschland und zunehmend in ganz Europa vorbei (Beispiel Griechenland: https://www.youtube.com/watch?v=vMF47xudNrk).



Ansprechpartner:

Dr. Wolfgang Epple
Biologe

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